Baunscheidtieren / Baunscheidt-Verfahren / Lebenswecker

Die Baunscheidtmethode

NRF - Neues Rezeptur-Formularium

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© 1999 GOVI

Stand: 13.01.2003 (Quelle).


Rezepturhinweise:
Crotonöl und Ersatzstoffe

Relevante NRF-Monographien und -Texte:

Relevante Rezepturhinweise:

Wirkung / Anwendung:

Irritans

Physikalische, chemische, galenische Eigenschaften:

siehe Standardliteratur

1   Bedarf

Der Bedarf für Rezepturen zur Anwendung beim Baunscheidtieren ist kaum zu begründen. Verschreibungspflicht und/oder Bedenklichkeit sind zu beachten.

2   Baunscheidtieren

Dem Baunscheidtismus lag die obsolete volksmedizinische Vorstellung der Säftelehre zu Grunde (1), durch ein so genanntes Ausleitungsverfahren („übler Säfte“), hier durch die künstliche Erzeugung eitriger Pickel auf Hautpartien, können der Körper gereinigt und über 50 (5) diverse Leiden (2, 3) behandelt werden.

2.1   Geräte zum Baunscheidtieren

Das nach seinem Erfinder, Carl Baunscheidt, genannte klassische Baunscheidtiergerät („Lebenswecker“) war ein mit einem Federmechanismus versehener Schnapper mit 25 bis 30 (2) bzw. 33 (4) Nadeln, mit dem die Haut oberflächlich gestichelt wurde. Dabei sollte kein Blut austreten. Die Nadeln seien dann zu lang eingestellt gewesen. Neben dem Lebenswecker gab es zum Baunscheidtieren noch den Vitralisator (mit einer Nadelrolle statt eines Nadelkopfes), die Baunscheidt-Gabel, oder den Baunscheidt-Hammer (4).

2.2   Baunscheidtier-Öl-Rezepturen

Erforderlich für die Pustulation des Baunscheidtismus war eine stark reizende Wirkung des aufgetragenen Öles. Die Original-Rezeptur wurde nicht übermittelt, enthielt aber sicher das heute nicht mehr anwendbare Crotonöl (Öl aus dem Samen von Croton tiglium L.). Eine Ölmischung enthielt z. B. Crotonöl, Terpentinöl, Seidelbast-Urtinktur und Giftefeu-Urtinktur (5).

2.2.1   Baunscheidtier-Pasten

Eine salbenartige Hautreizpaste enthielt z. B. Crotonöl, Lorbeeröl (ätherisches oder fettes?), Cantharidentinktur, Ameisensäure, Cayennepfeffer, grob gepulverten Marmorstein und Weißes Vaselin, eine andere Crotonöl, Cantharidenpulver, Kaliumantimonyltartrat (Brechweinstein), Vaselin (5).

2.3   Crotonöl-freie Baunscheidtier-Öle

Verwendet wurden bzw. werden hautreizende Öle ohne Crotonöl. Denen wird aber z. T. eine andersartige bzw. schwächere Wirkung zugeschrieben. Irritanzien sind bekannt auf der Basis (auch in Mischung) von

 

Baunscheidtier-Öle ohne Crotonöl - keine Empfehlungen!*
  Rezeptur aus Rezeptur aus Apotheke Rezeptur aus Rezeptur aus Apotheke nach (4)
Histamindihydrochlorid 1,0 g 1,0 g -
Nelkenöl 2,5 g 2,0 g -
Wacholderöl (oder Wacholderholzöl?) 2,5 g 0,5,0 g -
Rainfarnöl - 10,0 g -
Allylsenföl - - 1,0 g
Senfölspiritus - - 40,0 g
Glycerol 85 % - - 20,0 g
Erdnussöl - - zu 100,0 g
Mittelkettige Triglyceride q. s. - -
Colophonium q. s. - -
Ethanol 90 % (V/V) zu 100,0 g zu 100,0 g -
* Die Rezepturen wurden z. T. wohl nur deswegen bekannt, weil sie sich nicht problemlos anfertigen lassen. Die Bedenklichkeit ist zu prüfen.

Möglicherweise steht die sogenannte „Pasta Ottinger“ in einem Zusammenhang mit dem Baunscheidtismus; siehe die Rezepturhinweise zu „Allylsenföl, Senfölspiritus und Oleum Sinapis“.

2.4   Unerwünschte Wirkungen

Genannt werden allergische (Lokal-)Reaktionen, Schmerzen, Pruritus, Narben, Hyperpigmentierungen (1, 5). Das Infektionsrisiko ist groß; schwere Zwischenfälle und Todesfälle sind vorgekommen (1). Krebsfördernde Effekte des Crotonöl (1) und möglicherweise auch anderer Bestandteile sind zu berücksichtigen. Auch systemische Wirkungen der z. T. sehr giftigen Arzneistoffe sind nicht auszuschließen.

3   Bedenken

Crotonöl-haltige Rezepturen sind als bedenklich eingestuft worden, vgl. NRF, Allgemeine Hinweise I.5. Obsolete bzw. umstrittene Rezepturen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Crotonöl unterliegt der Verschreibungspflicht, was aber keinesfalls impliziert, dass ärztliche Verschreibungen beliefert werden dürften.

Falls Urtinkturen aus Seidelbast (Daphne mezereum L.) und/oder Giftefeu [Giftsumach; Toxicodendron quercifolium (Michx.) bzw. Rhus toxicodendron L.] erhältlich sein sollten, ist wegen der hohen Giftigkeit und kokanzerogenen Wirkung des Seidelbast und der unkontrollierbaren Risiken des stark allergen wirkenden Giftsumach wahrscheinlich Bedenklichkeit zu unterstellen, solange diese wegen ihrer Wirkung und nicht in hoher Verdünnung homöopathisch angewendet werden. Vgl. die Rezepturhinweise zu „Umstrittene Rezepturen“.

3.1   Nicht-Lieferbarkeit

Die Diskussion um toxikologisch-pharmakologische Vertretbarkeit der Anwendung erübrigt sich, wenn ein Stoff nicht in der für Arzneimittelrezepturen erforderlichen Qualität erhältlich ist. Diese Situation scheint bei Allylsenföl und Brechweinstein vorzuliegen, vgl. die Rezepturhinweise zu „Allylsenföl, Senfölspiritus und Oleum Sinapis“. Und das dürfte auch für Crotonöl gelten.

Literatur

  1. Federspiel, K., Herbst, V., Stiftung Warentest (Hrsg.), Die Andere Medizin - Nutzen und Risiken sanfter Heilmethoden, Berlin 1996, S. 72-73.
  2. Hahn, R. (Chefredakteur alternativmed), Baunscheidt-Verfahren, Wien, http://www.alternativmed.at/suche/themen/baunscheidt.html.
  3. Heitz, C. I., Die klassischen Ausleitungsverfahren in der Nturheilkunde. 2. Die Baunscheidtsche Therapie, Serafin AG, CH-9427 Wolfhalden, http://www.serafin.ch/auslei.htm.
  4. Naturheilkundelexikon, MZ-Verlag 2000, http://www.naturheilkundelexikon.de/.
  5. Therapieverfahren der Naturheilkunde. Das Baunscheidtverfahren, Praxisleitfaden Naturheilkunde, 2.Auflage, ISBN 3-8243-13499, S. 66-74.

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